Angekommen reist es sich am besten

Was wollen wir uns noch ansehen? Wo gibt es die authentischste Pho-Suppe? Wie kommen wir am billigsten in die Stadt? Wer zeigt uns die hippste Bar? Warum trägt man beim Rollerfahren eine Maske? Es gibt unheimlich viel zu entdecken, erleben, bestaunen, fühlen, schmecken und riechen in Vietnam. Sie nennen sich selbst das Italien von Südostasien und tragen den gleichen Stolz wie ihre europäischen Verwandten im Geiste. Natürlich haben sie das gesündeste und schmackhafteste Essen, die reichste Kultur, bauen alles mit blossen Händen und sind sich ihrer bewegten Vergangenheit bewusst. Vietnames*innen sind erfrischend direkt und an Selbstbewusstsein mangelt es ihnen nicht. Stellt man eine unpassende Frage, antwortet ihr Gesicht mit Stirnrunzeln und stellt man sich ungeschickt an, wird schallend gelacht. Braucht man Hilfe, so sind sie sofort zugegen, verschwinden aber, alsbald es sie nicht mehr braucht – eine Gegenleistung ist nicht erforderlich. Wie gesagt, es gäbe viel zu entdecken, aber manchmal bedeutet Reisen auch ankommen: keine aussergewöhnlichen Sehenswürdigkeiten, keine skurrilen Cocktails, keine unbekannten Gesichter und schon gar kein fremdes Essen.

Nach einer knappen Woche in Ho Chi Minh Stadt verbringen wir nun acht Tage bei Linh und ihrer Familie in Cam Hải Đông. Linh nennt sich selbst «Banane» – sie ist nach aussen hin Vietnamesin aber innendrin ist sie weiss. Mit dreissig hat sie bereits viele Jahre in den USA, Singapur sowie London gelebt und ist damit die geborene Ost-West-Vermittlerin. Sie macht uns das Ankommen in Vietnam besonders einfach und lässt keine Möglichkeit aus, unsere Weltsicht zurechtzurücken, wann immer wir etwas missverstehen: Kommunismus bedeutet nicht, dass Geld in öffentliche Infrastruktur investiert wird; er bedeutet, dass man anstelle von lauten Demonstrationen auf unauffälligen Wegen seinen Willen bekommt. Linh ist ständig in Bewegung. Wenn sie nicht auf dem Surfbrett Wellen jagt, dann vermutlich ihre unternehmerischen Träume als Besitzerin von BodyVàMind. Zur Abwechslung übt sie sich in ruhigen Yogahaltungen – bis sie von lästigen Mücken aus der fragilen Gelassenheit gerissen wird.

Für die aufmerksamen Leser*innen ist klar: Linh ist die Oase, die wir nicht gesucht, aber gefunden haben. Linh kocht, lacht, surft und quasselt mit uns. Sie lässt uns Raum, wenn sie selbst welchen braucht und hat noch mehr Energie als wir beide zusammen. So verbringen wir die Tage mit Gesprächen über vietnamesische Geschichte, surfen gemeinsam bei Regen und schwitzen im Kopfstand beim Yoga. Mit der Haushälterin sprechen wir nur Zeichensprache und mit Linhs Eltern Französisch, das diese Generation in der Schule lernen musste. Die Hunde, Simba und Nala, bellen noch immer, wenn wir das Tor öffnen, doch mittlerweile beruhigen sie sich binnen Sekunden und begrüssen uns freudig. Von unserem Zimmer aus bestaunen wir die waldbewachsenen Hügel und beobachten die tropischen Vögel im mit lila Blüten bestückten Baum. Morgens weckt uns die Sonne, mittags ziehen Wolken auf und abends schlafen wir zu prasselndem Regens ein. Angekommen reist es sich am besten.













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