Ich dachte, ich hätte die Welt leer geschaut


Ich dachte, ich hätte schon viel gesehen. Ich dachte, das Paradies auf den kitschigen Plakaten in der Sauna gibt es nur dank Photoshop. Ich dachte, so leicht lasse ich mich nicht mehr beeindrucken von ein bisschen Sonne und Meer. Dann stiegen wir ins Flugzeug und der Pilot kündigte an: „Nächster Halt Paradies.“ Jaja, dachte ich. Als ich aus der kleinen Propellermaschine stieg und einen ersten Schritt auf Maupiti mitten in der Südsee wagte, begann das grosse Staunen.

Die Welt ist hier ein bisschen schöner als überall sonst und die Menschen entsprechend entspannter und freundlicher. Das Wasser ist tatsächlich hellblau und die Insel erstrahlt in saftigem grün. Man kann mit Mantarochen schwimmen, die Zehen in weissem Sand vergraben und Kokosnüsse trinken bis einem die Ohren wackeln. Die Temperaturen liegen bei angenehmen 25 Grad und die grösste Gefahr auf der Insel geht von einem Tausendfüssler aus. Touristen hat es nur wenige. Übertriebenen Luxus gibt es nicht, bewusst grenzen sich die Insulaner vom Nachbarn Bora Bora ab. Und als wäre das nicht schon des Guten zu viel, sind wir auch noch mit besten Freunden aus der Schweiz angereist, um zu sechst fünf Tage im Inselparadies zu verbringen. Geplant ist noch nichts, aber ausser geniessen gibt es hier auch nicht viel zu tun. Eine Wanderung hier, eine Bootsfahrt da und zwischendurch frischen Fisch mit Kokosmilch. Als wir unseren liebenswürdigen Gastgeber Ludo fragen, ob er die Schönheit seiner Insel noch immer sehe, meint er überzeugt: „Ja, natürlich, es gibt immer wieder andere Dinge, die in besonderem Glanz erscheinen.“ Ähnlich einem Schweizer Bergler, der für nichts in der Welt seine geliebten Felsen eintauschen würde. Ludos neunjährige Adoptivtochter, die uns auf die Bootstour begleitet, findet jedenfalls jeden Haifisch und Rochen genauso spannend und faszinierend wie wir. Ludo mit seinem schrillen Lachen und der tiefen Erzählstimme erklärt uns beim Abendessen, wie wichtig es den Bewohnern von Maupiti sei, ihr Paradies zu erhalten: Genügend Tourismus, damit es für alle ein Stück vom Kuchen gibt, aber auf keinen Fall die Hotels und den Luxus von Bora Bora oder Fiji, das mache unglücklich. Kürzlich hätte man über einen neuen Flughafen abgestimmt und sich gegen die Luxusvariante entschieden. Dafür wird es Freiluftduschen geben, damit man direkt vom Strand ins Flugzeug hüpfen kann. Die Indigenen hier sind gebildet und haben sich, anders als anderswo auf der Welt, politisches Gehör verschaffen. Das überzeugt uns noch mehr als die optische Schönheit. Die Menschen auf Maupiti leben im Paradies, sind sich dessen bewusst und verteidigen es gegen die Versuchungen des Kapitalismus. Die Südseeinsulaner leben zwar abgeschieden, jedoch nicht fernab des Weltgeschehens und können dieses mit genügend Distanz kritisch betrachten. Sie hatten Zeit, die Gefahren des Konsums und der Gier zu erkennen und die politische Macht ihr kleines Paradies davor zu schützen. Bis heute. Wir sind zutiefst beeindruckt und tauchen komplett ein in diese Welt voller einfacher Schönheit. Hätte Epikur, der antike Glücksphilosoph und Verteidiger des einfachen Lebens, Maupiti gekannt, wäre er hierher gezogen und hätte sich seinen geliebten Käse auf die Insel schiffen lassen. Das Einzige was zu seiner gesuchten inneren Gemütsruhe noch fehlt, ist der Frieden mit sich selbst. Doch wer sein Leben auf einer so kleinen Insel verbringt, hat genügend Zeit, diesen auch noch zu finden.

Ich dachte, ich hätte schon viel gesehen. Ich dachte, das Paradies auf Erden gibt es nicht. Ich dachte, die Südsee würde mich nicht beeindrucken.

Ich sollte weniger denken.












Youtube Video von Französisch Polynesien 
 

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