Papayas machen Diebe!

Vor knapp einer Woche verliessen wir das uns ans Herz gewachsene Medellín und fingen an, durch Kolumbien zu reisen. Wir wussten bereits, als wir noch in der Stadt des ewigen Frühlings residierten, dass dies wohl kaum das wahre Kolumbien zu sein vermag; vielmehr ist das seit einem Jahrzehnt von Gewalt befreite Medellín, die wohlhabende und gutfunktionierende Ausnahme. Über Guatapé, einem Wochenendurlaubdörfchen wenig ausserhalb reisten wir nach Santa Marta, der zweitältesten Stadt Lateinamerikas mit viel Hitze, grösserer Armut und mehr Kriminalität. 

Kolumbianerinnen (in Medellín und Bogotá) priesen ihre kulturelle Vielfalt und Diversität so hoch an, dass wir bereits hätten ahnen müssen, was dies in der Praxis heisst: Das Land verändert sich drastisch pro Departamento, mit den klimatischen Bedingungen, dem Einkommen bzw. der Bildung seiner Bürger und ist kaum wiederzuerkennen. So fühlen wir uns wieder wie zu Beginn unseres Südamerikaabenteuers unsicher und eingeschüchtert durch die kaum lesbaren Gefahren, welche hier offenbar lauern. Vielleicht liegt dies auch an unserer ersten Spanischlektüre, dem Buch über die Comuna 13 in Medellín (siehe Post Medellín te amamos) oder der Serie Narcos mit Pablo Escobar als Hauptfigur, in welchen ständig unschuldige Menschen sterben, weil sie zur falschen Zeit am falschen Ort sind. Wobei so leicht lassen wir uns eigentlich nicht beeindrucken, aber wenn in jedem Reiseführer Sicherheitstipps stehen wie „trage immer Bargeld in Griffnähe, damit du dieses deinem allfälligen Angreifer sofort aushändigen kannst,” oder „no dar papayas,” wortwörtlich „keine Papayas geben,” was soviel heisst wie, zeige weder dein Natel, dein Geld noch deinen Schmuck in der Öffentlichkeit, damit keiner auf dumme Ideen kommt. Auch hier sind wir in der Regel gelassen, weil das sind offizielle Reiseführer, die kein Risiko eingehen wollen, ähnlich dem EDA (wer noch nie ihre Reisehinweise gelesen hat, dürfe sich gerne mal amüsieren gehen) laut welchem man knapp in Italien Ferien verbringen kann, ohne sein Leben zu riskieren.
Aber es sind nicht nur die Filme, Bücher, Reiseführer und das EDA, welche uns warnen, nein, es sind auch die Menschen die hier leben. Es sind die Taxifahrer, die verriegelten Eingangstüren, die alltäglichen Schauergeschichten und das Verhalten der Einheimischen in der Öffentlichkeit. Während unserer Zeit in Medellín erzählt uns eine Kolumbianerin in von ihrem Messer, welches sie ständig mit sich trägt, weil sie sich als Geologin in ihrem Arbeitsumfeld auf dem Land unsicher fühlt und ihr Freund bestätigt, dass er sein Handy auf offener Strasse wohl zu oft brauche und selber schuld sei, wenn er überfallen würde. Als in den Nachrichten von einem Touristen berichtet wird, der ausgeraubt wurde, wird dies kommentiert mit: „Kein Wunder, dass er ausgeraubt wurde, er war nachts alleine mit einem Rucksack unterwegs.” Was ist das für ein Land, indem man nicht nachts mit einem Rucksack rumlaufen kann? Oder aus was für einem Land kommen wir, dass wir das nicht verstehen? Eine Reisefreundin nannte dies vor Jahren mal sehr treffend die „europäische Sicherheit” und bezeichnete damit das Gefühl, dass man wann immer wohin auch immer gehen kann, wenn man will. Das mag in manchen Teilen von Europa so sein und ist in der Schweiz bestimmt der Fall, aber in Südamerika würde man vermutlich gar nicht verstehen, wo man denn überall und immer hingehen möchte. Die latente Gefahr und die Warnungen sind das eine, so richtig gruselig wird es erst, wenn die Bedrohung unmittelbar ist. Dann zum Beispiel, wenn der AirBnB-Gastgeber nachts einen Handyanruf erhält, dass man die Fahrzeugpapiere seiner Mutter gefunden hätte und er diese sofort abholen müsse. Als er dies aus Vorsicht nicht tun will, wird der Gesprächspartner ausfällig und hängt auf. Woher hat er die Nummer? Was hätte er gemacht, wäre man hingegangen? Wird er wieder anrufen? Oder wenn man nachts nach Hause läuft und die Zivilisten auf der Strasse Macheten am Gürtel tragen und der Abdruck einer Pistole unter der Kleidung sichtbar ist. Wozu all die Waffen? Wen schützen sie vor was? Sollten wir nachts gar nicht mehr raus?

Wir malen wohl beide eher den Teufel an die Wand, als dass wir blauäugig wären und deshalb muss man sich keine Sorgen um uns machen. Irgendwann werden wir entweder fatalistischer, ignoranter oder können die Situationen tatsächlich besser einschätzen, aber bis dahin, lassen wir uns von den Einheimischen beraten und lesen weiterhin regionale Kriminalitätsstatistiken.









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