Geschichten der Gesichter

Wie versprochen liefern wir hier nun noch den Post zum Bilderpost “Women of India“ nach. Um das Ganze einzubetten müssen wir etwas ausholen. Nachdem in Visakhapatnam alles den Bach runter gegangen war, hatten wir uns entschlossen nach Goa an den Strand zu fahren. Nach einer Woche Goa wussten wir, wie es weitergeht: Zunächst entspannen im reichsten Bundesstaat Indiens, um dann eine kurze Reise zu unseren Freunden nach Mumbai zu unternehmen. Von da ging es mit dem Nachtzug nach Hyderabad und weiter nach Narsipatnam. Die Stadt liegt circa zwei Autostunden von Vizag entfernt und beherbergt ein weiteres Don Bosco Projekt. In Absprache mit der Organisation One World Schweiz, besteht unsere Aufgabe in der Dokumentation der multiplen Aufgaben vor Ort. Wer Interesse an unseren Dokumentationen (Film & Bericht) hat, kann sich gerne bei uns melden.

Im zu dokumentierenden Projekt geht es um kleine, abgelegene Dörfer, die rund um Narsipatnam situiert sind und kaum Zugang zu Bildung haben. Das Programm nennt sich Integral Tribal Development Services (ITDS) und das Ziel ist die Bildung der Leute, vor allem Frauen, in den kaum entwickelten Regionen Indiens. Hier vergibt Don Bosco mit der Unterstützung von One World Mikrokredite, organisiert Abendschulen für Mütter und Kinder, sponsert Schulgelder und führt ein Sparprogramm mit den Frauen durch. Kredite werden ohne Zinsen für unternehmerische Projekte (Bau eines Ladens, Kauf von Ziegen oder Kühen etc.) vergeben und dienen als Sprungbrett für ein zusätzliches, stabiles Einkommen einer Familie. Kredite sind an Bedingungen gebunden und werden z.B. nur an jene vergeben, die bereit sind auch Teile ihres Ersparten zu investieren.

Wir fahren nun also fünf Tage lang mit Helfern vor Ort entlang der kurvigen Chintapallestrasse, steigen aus und laufen die schmalen Feldwege ab, die sich in immer feinere Trampelpfade verästeln. Je länger man diesen Seitenstrassen folgt, in umso abgelegenere Dörfer gelangt man. Manche ohne Strom, ohne Wasser, ohne Toiletten und ohne Zufahrtsstrassen. Die Menschen hier sehen viel älter aus, als sie sind, tragen andere Kleider und sprechen ihre eigene Sprache, die komplett anders klingt, als die Amtssprache in Andhra Pradesh. Ihr Alltag wird bestimmt durch Feld- sowie Hausarbeiten und findet ihren Unterbruch (nur) zu Festtagen, wie Hochzeiten oder religiösen Feiern. Die Ureinwohner sind anders als die restlichen Bewohner Indiens scheu und zurückhaltend, wobei sie die Gastfreundschaft mit ihren Landsleuten teilen. Egal wo wir ankommen, man offeriert uns, was man zu geben hat: Kokosnüsse, Blumen, gesüsste Milch oder zumindest einen Stuhl im Schatten. Wir sehen was es heisst, wenn man wirklich gar nichts hat, ausser einem Dach über dem Kopf, welches man mit der ganzen Familie teilt.

Auch erklärt man uns, welche Probleme, wovon wir exemplarisch zwei nennen wollen, vorherrschen. Ein Problem betrifft, wie so oft in Indien, Frauen, welche kurz vor der Entbindung stehen. Aufgrund der Abgeschiedenheit der Dörfer, ist es für schwangere Frauen beinahe unmöglich in einem Spital oder einer anderen medizinischen Einrichtung zu gebären, da diese mehrere Autostunden von den Dörfern entfernt liegen. Dies führt dazu, dass die Geburt oft im eigenen Haus stattfindet, was bei einer komplizierten Schwangerschaft für Frau oder/und Kind tödlich verlaufen kann. Bei Komplikationen bleibt der hochschwangeren Frau oft nur der Versuch den stundenlangen Weg ins nächste Spital auf sich zunehmen, notabene zu Fuss!

Ein anderes Problem stellen die fehlenden sanitären Anlagen dar, welche in einem Spiessrutenlauf für Frauen endet, die nur mal kurz aufs Klo müssen. Wir stützen und zitieren hier kurz einen Bericht aus der Zeitung die WELT: „626 Millionen Inder defäkieren im Freien, das heißt, ihre „stillen Örtchen“ sind der Straßenrand, ein freies Feld, das Meeresufer. Nur 47 Prozent aller indischen Haushalte haben Zugang zu einem Klosett. Nicht nur auf dem Lande, selbst in den großen Metropolen des Subkontinents. Jeden Morgen, wenn in Mumbai die Sonne aufgeht und über den Wellen an der Küstenlinie glitzert, strömen sie hinaus auf die Felsen: Männer und Kinder lassen sich entspannt in die Hocke sinken und entblößen ihre Hinterteile. Für Indiens Frauen allerdings ist es nicht so einfach: Scham und Anstand verbieten es ihnen, wie ihre Männer und Kinder in aller Öffentlichkeit ihre Notdurft zu verrichten. Sie müssen auf die Dunkelheit warten. Und weil ihr Leben in dieser Gesellschaft, wo statistisch alle zwanzig Minuten eine Frau vergewaltigt wird, so wenig zählt, begeben sie sich damit tagtäglich in Lebensgefahr. Ein Großteil dieser Verbrechen ist auf das Fehlen von eigenen sanitären Einrichtungen zurückzuführen. Allein in Uttar Pradesh, so ein Polizeibericht, geschehen 95 Prozent aller Fälle von Vergewaltigung und sexueller Belästigung, wenn die Frauen „für kleine Mädchen gehen“.

Nach knapp einer Woche ist unsere Arbeit in Narsipatnam beendet und wir können sagen, dass dieses Projekt uns komplett überzeugt hat. Die Frage was wir für die Menschen in Indien, die finanziell und sozial ganz unten stehen, tun können, versuchen wir noch kurz zu erörtern. Eine Option ist es, nach Indien zu fliegen und etwas unserer Zeit und Schaffenskraft zu spenden. Dies ist jedoch nicht immer die realistischste Option; auf der einen Seite, weil wir diese Zeit nicht haben und auf der anderen, weil unsere Schaffenskraft vielleicht gar nicht gebraucht wird. Wenn man Spenden möchte, stellt sich immer die Frage, wem gibt man Geld für was? Wichtig ist, dass man in ständigem Kontakt mit den Leuten steht, die man unterstütz. Ausgaben der Institutionen müssen offengelegt und Projektberichte eingefordert werden. Kein Weg führt an einem gelegentlichen Besuch vor Ort vorbei. Immer wieder hinschauen, nachfragen und absprechen scheint die Devise zu sein.

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